Kürzlich noch hatte ich mit Buddhisten eine Diskussion über Wut. Es ging darum, wie man merkt, dass man über Wut hinweg ist, wo man sie doch genauso gut verdrängt oder unterdrückt haben könnte. In beiden Fällen würde man sie nicht spüren. Das Thema interessiert und beschäftigt mich sehr, weil ich selbst dabei bin zu entdecken, dass Wut, von der ich dachte, ich hätte sie einfach nicht, vor allem keinen Platz in mir fand, weil ich zu große Angst vor ihr hatte und fürchtete, sie würde Dinge kaputt machen, sobald ich sie nur fühle. Das ändert sich gerade und ich finde sehr heilsam, was für eine Energie darin steckt, die Wut erstmal überhaupt fühlen zu können, ohne sie auszuagieren. Das will ich weiter vermitteln.
Außerdem hat ein Freund mich neulich auf das Thema Scham angesprochen. Und dazu ist zu sagen, dass Scham immer mit Glaubenssätzen einhergeht, die alle „Ich sollte so nicht sein“ und „Irgendwas stimmt mit mir nicht, so wie ich bin“ zur Kernaussage haben. Mir ist dazu etwas wichtiges eingefallen, das ich mit den Begriffen Detachment und Non-Attachment erklären will.
Ich würde dazu von einer Drei-Stufen-Entwicklung sprechen, wenn es darum geht, mit Bedürfnissen und Wünschen in Verbindung zu sein: Detachment, Attachment, Non-Attachment. Detachment ist der Zustand, in dem du einen Wunsch oder ein Verlangen in dir gar nicht zulässt, weil du nur Schmerz damit erlebt hast. Du hast gelernt Wunsch+Welt=unerträgliches Leid. Das ist dann in einem Glaubenssatz zusammengefasst. Und wenn du dann doch mit dem Wunsch in Kontakt kommst, in einer Umgebung, die das nicht unterstützt, kommt die Befürchtung des unerträglichen Leides wieder hoch. Im Grunde genommen ist das wie ein ganz kleines Kind, welches neu in der Welt ist und erst lernen muss zu vertrauen, dass es willkommen ist und einen Platz hat.
Nächster Schritt ist Attachment. Dabei gewinnst du Vertrauen zu mindestens EINER Quelle zur Erfüllung deiner Wünsche und Bedürfnisse. Im Idealfall passiert genau das im sechsten Monat nach der Geburt. Vorher ist das Vertrauen, jedenfalls einiger Psychologen zufolge, noch nicht möglich, weil erst dann auftaucht, was man Objekt-Permanenz nennt: Das Kind hat eine Repräsentation von der Mutter, selbst wenn diese nicht da ist. Und darauf basiert dann das Vertrauen. Wenn das klappt und das Kind diese Bindung zur Mutter, dem Vater oder anderen Menschen findet, spricht man davon, dass das Kind eine sichere Bindung hat. Es ist „securely attached“. Das ist abhängig von der Sensibilität und Zugänglichkeit der Bezugsperson. Kann die Mutter sich einfühlen, reagiert sie auf die Wünsche des Kindes, gewinnt dieses Vertrauen, dass es angenommen wird.
Die letzte Phase ist Non-Attachment. Sie mag von außen wie Detachment aussehen, ist aber ganz anders. Non-Attachment basiert auf dem Vertrauen, bei Bedarf genau das zu bekommen, was man braucht und viele Quellen dafür zu haben. Und vor dem Hintergrund dieses Vertrauens braucht man an nichts festzuhalten. Man kann seine Gefühle voll empfinden, ohne Angst davor und dann loslassen. Detachment hingegen basiert auf dem Zwang, seine Bedürfnisse aufgeben zu müssen. Man fühlt keine Macht, sie irgendwie erfüllen zu können und ist deswegen hilflos. Um davor geschützt zu sein, spaltet man das Bedürfnis ab.
Diese Entwicklungslinie ist ein Paradebeispiel für die Prä-/Trans-Verwechslung von der Ken Wilber oft spricht. Detachment und Non-Attachment sehen gleich aus, weil sie beide nicht Attachment sind. Aber ich glaube unglaublich viele Leute sind detached und nennen das non-attached. Dadurch entsteht so viel Verwirrung und Scham in der Gemeinschaft von Leuten, die sich auf diesen Weg machen. Denn jedes Mal, wenn jemand Vertrauen sucht, sich öffnet, seine Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche zeigt, wird er von denen, die detached sind (und damit in ihren Glaubenssätzen über die Welt stecken, die dafür keinen Platz lassen) zurecht gewiesen, nach dem Motto „Was glaubst du wer du bist! Du bekommst nicht mehr als wir. Kümmer dich um deine spirituelle Entwicklung und dann wirst du das so wenig brauchen wie wir!“ Und dann denkst du „Oh, verdammt. Ich sollte das gar nicht brauchen. Ich bin einfach noch nicht entwickelt genug.“ Und das hat noch nie funktioniert!
Ich möchte eine Gemeinschaft, die sich dieser Unterschiede bewusst ist. Die nicht vor ihrem eigenen abgespaltenen Schatten davon rennt, sondern ihn beleuchtet und liebevoll annimmt. Scham kann man nicht wegmeditieren, sondern sie braucht empathische Resonanz, so dass das Vertrauen gewonnen werden kann, dass man irgendwo wirklich einen Platz hat. Und erst von dieser sicheren Basis aus, kann man mit Freude hinaus in die Welt gehen und all die Möglichkeiten kennenlernen, ohne den Kontakt zu dem Ort des Vertrauens aufzugeben.
Idealerweise ist der Ort des Vertrauens die Familie und die Bezugspersonen sind die Eltern. Da aber die Eltern meisten ebenfalls keine sichere Basis erlebt haben, ist ihre Sensibilität und Fähigkeit empathisch mit den Wünschen des Kindes zu sein oft eingeschränkt, so dass Bedingungen daran geknüpft werden. Und so machen sich viele viel später auf den Weg, nach diesem Ort der bedingungslosen Liebe, nach dem sie ein Leben damit verbracht haben, bedingungslose Liebe dadurch zu bekommen, dass sie alle gestellten Bedingungen zu erfüllen versuchen, nur um dann zu merken, dass sie auf die Weise wieder nur bedingte Liebe bekommen.
Ich wünsche mir, dass unsere tiefen Herzenswünsche mehr Raum finden, mehr Orte zur Annahme und Präsenz damit. Dass sie eine Stimme bekommen und ihnen Macht verliehen wird. Erst so können wir wirklich frei und erfüllt genug sein, dass wir nicht anhaften, auf niemanden mehr Zwang ausüben und in einer Welt voller göttlichem Lachen und süßer Tränen leben.