Die Crux mit den Erwartungen

Eine beliebte Überzeugung, bei der sich mir inzwischen die Zehennägel kräuseln ist die, dass „man keine Erwartungen haben sollte.“ Mir begegnet diese Überzeugung hauptsächlich wenn’s um Liebesbeziehungen geht. Wenn z.B. meine Partnerin sich nicht so verhält, wie ich das will und ich zu der Einsicht gekommen bin, dass meine Anstrengungen sie ändern zu wollen voraussichtlich wenig Früchte tragen, sind’s halt meine Erwartungen, an denen mein Glück scheitert. So zu denken ist in gewisser Weise verlockend, denn auf meine Erwartungen habe ich mehr Einfluss, als auf das Verhalten meiner Partnerin. Und unter Umständen ist es besser, nicht so viel zu wollen, als dem Mangel hilflos ausgeliefert zu sein. Und überhaupt, ist es nicht ein Zeichen von Erleuchtung, von nichts abhängig zu sein?

Ich habe mal eine Weile lang damit experimentiert, wie es sich lebt, wenn ich keine Erwartungen mehr an meine Mitmenschen habe. Ich ließ z.B. offen, ob sie etwas für sich behalten, was ich ihnen erzähle. Ich ließ offen, ob sie pünktlich oder überhaupt zu einer Verabredung erscheinen. Ich ließ offen, ob sie mir sagen, was wirklich los ist. Ich erwartete auch nicht, dass sie mich mögen oder unterstützen, selbst wenn ich das gerade sehr gut brauchen konnte. Und ich ließ offen, ob meine Bedürfnisse und Anliegen irgendetwas zählen. Ich hab das eine Weile lang gemacht und genossen, dass ich nicht enttäuscht werden konnte. Egal was passierte, ich war fein raus, da ich mich sowieso auf nichts verlassen hatte.

Irgendwann dämmerte mir allerdings, was der Preis dafür war: Ich hab mich nämlich auch auf nichts und niemanden mehr gefreut. Nicht nur das, ich konnte auch nicht genießen und annehmen, was mir entgegen gebracht wurde – ganz ohne, dass ich es erwartet hätte. Das fand ich ganz schön bestürzend und fühlte sich sehr einsam an… was hab ich denn davon, wenn ich nichts mehr annehmen kann?

Dann ist mir aufgefallen, dass der Begriff „Erwartung“ verschiedene Bedeutungen haben kann. Zum einen kann ich damit Vorstellungen davon meinen, was in Zukunft passieren könnte. Also, ich erwarte z.B. dass die Tür knallt, wenn ich sie mit einem bestimmten Schwung schließe. Oder ich erwarte, dass ich nass werde, wenn ich mich unter die laufende Dusche stelle. Da geht es darum, wie ich aus meiner bisherigen Erfahrung Prognosen darüber mache, wie es mir unter bestimmten Bedingungen gehen könnte, so dass ich damit umgehen und Entscheidungen treffen kann. So kann ich auch erwarten, dass ich genährt und bereichert werde, wenn ich mich mit einem lieben Freund treffe…

Und da deutet sich auch schon die zweite Bedeutung an. Je nachdem, wie ich die letzte Erwartung lese, kann ich sie auch als Forderung verstehen. Dann geht es nicht mehr nur um eine Vorstellung, sondern darum, dass ich mit Sanktionen wie z.B. Verurteilungen drohe, wenn die Vorstellung davon, was ich gut finde, sich nicht erfüllt. Und das ist ein ganz anderes Paar Schuhe!

Ich glaube, im allgemeinen Sprachgebrauch ist oft von Forderungen die Rede wenn das Wort „Erwartungen“ fällt. Und Forderungen beinhalten, dass ich die Gemeinsamkeit zwischen meinem Gegenüber und mir aufgebe und stattdessen meine Macht über den anderen einsetze um durchzusetzen was ich will. Das geht immer und überall auf Kosten der Beziehung, denn je weniger ich die Bereitschaft erlebe, einen gemeinsamen Weg zu finden, desto schwerer fällt es, das Vertrauen zu halten, dass es einen gibt. Und wenn das Vertrauen schwindet, fällt es schwer, offen und überhaupt in Beziehung zu bleiben. Insofern ist die Überzeugung „man sollte keine Erwartungen haben“ nachvollziehbar, wenn auch nicht besonders hilfreich, da ein passender Hinweis darauf fehlt, was stattdessen hilfreicher wäre.

Erwartungen jedoch, also Vorstellungen davon was passieren könnte, halte ich für unheimlich wichtig, um gut im Kontakt mit mir selbst und meinen Bedürfnissen bleiben zu können. Eine Definition dieses Kontaktes ist für mich, mir die Möglichkeit der Erfüllung vorzustellen, also, wie’s einfach richtig schön wäre! Dafür muss ich mir vorstellen, was passieren müsste und könnte, damit’s mir gut geht. Und diese Vision kann dann inspirierend und handlungsführend sein, mir Mut und Kraft geben, überhaupt etwas in Gang zu setzen und sei es „nur“ eine Verabredung. Ohne diese Vision gäb es keinen guten Grund mehr, irgendetwas zu tun und Depression oder Resignation wären die Folge.

Von daher möchte ich meine Erwartungen kennen und pflegen, damit ich weiß, wie ich und andere gut für mich sorgen können 🙂