Islam und moralischer Relativismus

Diesen Text hab ich vor etwa einem Jahr geschrieben:

„Ich hab heute eine Reaktion bekommen, mit der ich halb gerechnet hab, die mich aber trotzdem erschreckt. In der StudiVZ-Gruppe „Fragen und Antworten zum Islam“ diskutiere ich mit einem anderen Gruppen-Mitglied zum Thema Aufklärung und ihre Folgen. Heute hab ich festgestellt, dass er meinen letzten Beitrag gelöscht hat. Mir war klar, dass mein Beitrag nicht mit dem Höchsten der Kommunikationskunst entsprach, da ich meinem Gegenüber letztlich sagte, er solle sich klarer ausdrücken und lernen, besser zusammen zu fassen was er meint. Er solle nicht das Opfer spielen.

Dass ich so nicht weiter komme hat etwas für sich, denn ich merke jetzt erst, wie viel Angst ich in der Diskussion habe. Ich hab versucht die Errungenschaften westlichen Gedankenguts (Aufklärung) bewusster zu machen, da sie heute vor dem Hintergrund von Kriegerischen Auseinandersetzungen, Gier und Finanzkrise gerne vergessen werden. Und ich bekomme als Antwort nur eine Erinnerung an Nationalismus, Rassismus, Imperialismus und Materialismus. Was mein Problem damit ist? Rein von der Debatte her zähle ich die Aufklärung immer noch zum Gegenpol dazu. Aber eine Ebene tiefer hab ich Angst die Diskussion zu „verlieren“. Ich hab Angst vor einem Verlust an Freiheit und Integrität. Und das immer, wenn ich mit Muslimen zu tun habe. Ich sehe nicht, wie ich integer und frei bleiben kann, sollten sich muslimische Regeln, wie sie gerne in all ihrer Strenge verstanden werden, durchsetzen. Und ich kann nicht mal genau sagen, welche Regeln. Man kann mir vorwerfen, den Islam nicht genau genug zu kennen. Das ist aber alles egal, denn meine Angst lindert es nicht. Es ist keine Angst vor dem Islam, es ist Angst um meine Integrität und Freiheit. Und die Angst, dass ich mit Muslimen nicht zusammenleben kann, während ich meine Position vertrete und meiner Perspektive auf die Welt eine Stimme geben. Dass die Konsequenz in so einer Gesellschaft der ähneln würde, die ich erlebe, wenn mein Beitrag gelöscht wird: Ohnmacht und Hilflosigkeit, die zunächst mal Wut schürt, hinter der sich wiederum Angst verbirgt.

Wie kann ich auch nur hoffen zu Frieden und Verständigung beizutragen, so lange ich nicht weiß, wie ich auch unter solchen Umständen meinen Sinn für meine Freiheit und Integrität bewahren kann? So lange es wie Verrat an meinen Werten wirkt, wenn ich mich auf die Position der anderen Seite zu bewege? Wie kann ich hoffen, dass andere, die diese Angst mit mir teilen, sich konstruktiv am Dialog der Kulturen beteiligen, wenn ihre Angst nicht gehört wird und ihre Werte der Integrität und Freiheit keinen Platz bekommen?

Barack Obama spricht von einem Empathie-Defizit, einen Mangel der Fähigkeit, eine Weile in jemandes anderen Schuhen zu gehen. Ich glaube, es ist zunächst ein Selbst-Empathie-Defizit. Denn ich kann mich nicht in jemanden hineinversetzen, wenn ich das so erlebe, als gäbe ich mich dabei auf! Als wäre das wie Selbstmord. Und ich sollte mich nicht wundern, wenn andere das auch nicht können. Dafür brauche ich Klarheit über meine Ressourcen, so dass ich großzügig mit meiner Aufmerksamkeit und meinem Verständnis sein kann, ohne dabei zu verlieren, sondern spüren kann, dass ich an Verbindung und Verbundenheit gewinne.“

Ich hab seit damals die Diskussion im StudiVZ-Forum nicht wieder aufgenommen. Ich hatte keine Lust, mich dem wieder auszusetzen. Aber wichtiger ist die Frage, was meine Position eigentlich ist. Henryk M. Broder, der SPIEGEL-Autor, hat sein Buch dazu „Hurra, wir kapitulieren!“ genannt. Damit meint er, dass die Angst, rassistisch zu sein, dazu führt, dass sich westliche Länder in Europa vom moralischen Absolutheitsanspruch des Islams überrollen lassen. Die Angst, als Rassist zu gelten, kenn ich, aber ist die Bedrohung so immanent?

Sam Harris hat in diesem TED-Auftritt dem moralischen Relativismus etwas Prägnantes entgegen gesetzt:

Sein Punkt ist, dass moralische Vorstellungen immer abhängig sind von Annahmen über die Welt, über Menschen und die Konsequenzen von Handlungen. Und dass die Erkenntnisse, die wir durch die wissenschaftliche Methode sammeln, diese Annahmen verändern. Beispielsweise kümmern wir uns nicht um einen Stein wie um eine Katze, da wir annehmen, dass eine Katze ein breiteres Spektrum an Freud und Leid erleben kann, als ein Stein. Basierend auf dieser Annahme, halten wir es für vertretbar, eine Katze zu versorgen und sie nicht gegen die Wand zu schmeißen oder dergleichen. Genau das gleiche gilt für unsere Umgangsregeln mit Menschen. Um das in Kriegsfällen zu umgehen, ist das erste was man braucht, damit Krieg überhaupt stattfinden kann, ein Feindbild, welches den Gegner zu einer leblosen Puppe reduziert. Ab da wird es tragbar, ihn oder sie umzubringen, vorher nicht.

Im Kontakt mit dem Islam seh ich bei mir das größte Problem darin, dass ich genau so einen Maßstab brauche, um meiner Position zu trauen. Also einen Maßstab, von dem ich sage, dass ich ihn universell anwende und das auch vertreten kann, ganz egal, was die kulturelle Zugehörigkeit ist. Diejenigen von euch, die mich kennen, wissen, dass ich durchaus so eine universelle Moral habe, aber es gibt Bereiche, wo ich sie nicht ganz integriert hab. Diese Sache mit dem Islam-Forum von vor einem Jahr, gehört dazu.

Besonders gefallen an Sam Harris‘ Auftritt hat mir der Satz, wer wir denn seien, zu behaupten, wir wüssten nicht genug über das, was Menschen hilft, sich zu entfalten und aufzublühen, dass wir es tolerieren, wenn Frauen (und Männer) in ihrer Ehe geschlagen werden und Väter vor Scham ihre Töchter töten, nachdem diese vergewaltigt wurden. Und ich will das nötige Selbstbewusstsein, um hier eine universelle Grenze zu ziehen, unterstützen.