Einer der praktischen Impulse, die ich aus meiner (im letzten Artikel erwähnten) ersten Woche der Therapieausbildung im ZIST mitgenommen habe, ist das „Hier-und-jetzt“-Spiel. Ich habe es seitdem auch außerhalb mit Freunden ausprobiert und habe dabei wertvolle Erkenntnisse gesammelt, die mir immer wieder Freude machen.
Das Spiel ist im Prinzip eine Übung in Gegenwärtigkeit und Präsenz. Die Regeln sind folgende: Jeder Satz beginnt mit „Hier und jetzt“. Also „Hier und jetzt sitze ich an meinem Schreibtisch und verfolge, wie meine Hände diesen Satz tippen.“ Nicht erlaubt sind Hilfsverben wie sein, haben, müssen, sollen und versuchen. Außerdem ist vernichtende Sprache nicht erlaubt, das heißt, immer wenn ich drauf und dran bin zu sagen, was nicht ist, stoppe ich mich und sage was stattdessen ist. Ich sag also nicht „Hier und jetzt fühl ich mich nicht wohl.“ sondern „Hier und jetzt fühl ich mich angespannt.“ Vergangenheit drücke ich mit „Hier und jetzt erinnere ich mich daran, dass…“ aus und Zukunft mit „Hier und jetzt stelle ich mir vor, dass…“ Auf die Weise mach ich klar, dass alles im hier und jetzt stattfindet und auch, dass ich wähle, mich zu erinnern oder mir vorzustellen – ich bin damit kein Opfer von Vergangenheit oder Zukunft, sondern verantwortlich für die Gegenwart.
Was dann zwischen zwei Menschen passiert, die das miteinander machen… nun ja, bei mir war es bisher sehr unterschiedlich. Mit ziemlicher Garantie kann ich sagen: Es passiert etwas Neues, etwas, das in der Routine der Kontaktgewohnheiten nicht vorkommt. Eine Sache, die ich auf die Weise sehr schnell merke ist, wie oft ich im Gespräch damit beschäftigt bin, bestätigende und ermutigende Reaktionen wie das typisch therapeutische „hm“ und „ja“ zu geben – auch wenn mich das vom anderen angesprochene Thema vielleicht gar nicht so anspricht. Oder positiv formuliert: Auch wenn ich mich angespannt fühle und meine Aufmerksamkeit ganz bei einem anderen Thema ist. Im Rahmen dieses Spiels hab ich’s jetzt so erlebt, dass ich das dann sagen konnte. Das ist erstmal komisch, weil der Gesprächsfluss fehlt und es wirkt, als würden die zwei Leute nicht miteinander reden. Aber in den Fällen, wo das so war, gab es früher oder später dann doch Interesse und Neugierde als Reaktion und ein Aufeinander-Einschwingen. Ein Freund bemerkte, dass man mit diesen Regeln weniger versucht ist, Geschichten zu erzählen, deren aktuelle Relevanz nicht klar ist, einfach weil es darauf weniger oder kaum Interesse gibt. Erst mit dem Bewusstsein, was es Hier und Jetzt bedeutet, mich an eine Geschichte zu erinnern, bekommt sie Lebendigkeit im Kontakt.
Ich freu mich sehr über den Rahmen, indem ich ehrlicher damit bin, was mich interessiert und was nicht. Und auch die erhöhte Wahrscheinlichkeit, diese Ehrlichkeit von meinem Gegenüber zu bekommen, freut mich und find ich aufregend. In zwei Fällen lief es sogar so, dass das Spiel mich und mein Gegenüber so in die Gegenwart gebracht hat, dass ich die Form nach einer Weile hinderlich fand und einfach jeder Satz nur so fließen konnte.
Ich erinnere mich an zwei Male, die mit mehr Anspannung verknüpft waren. Bei beiden lief es nicht so richtig, das heißt, ich hab was von mir mitgeteilt und als Antwort kamen Fragen. Im Gespräch darüber kam heraus, dass mein Gegenüber Bestätigung von mir wollte und überprüft hat, was sicher wäre , zu sagen oder worüber er/sie lieber den Mund halten will. Ich erinnere mich, wie bei mir alles eng wurde und ich am liebsten weg wollte. Daraus schließe ich, dass die ehrliche Reaktion eine Energieform ist, oder jedenfalls merke ich, dass ich sehr schnell müde und erschöpft werde, wenn ich im Kontakt keine Impulse beim anderen wahrnehme oder wahrnehmen darf. Das ist wie allein im Regen stehen und Wärme-Energie abzugeben, aber keine zurück zu bekommen: es wird nach einer Weile sehr kalt.
Außerdem hab ich erlebt, wie sich Leute gegen die Form und die Regeln gewehrt haben. Das bedauer ich, weil ich finde, dass die Form einen Rahmen für etwas bietet, was ich sonst nicht so häufig erlebe. Und dafür lohnt sich der Aufwand, meiner Einschätzung nach.
Ich mag euch alle auffordern, das mal mit einem guten Freund, einer guten Freundin auszuprobieren und mir dann zu schreiben wie es war!