Empathie bei Paarkonflikten

Eine Herausforderung der Gewaltfreien Kommunikation im Alltag, vor der viele stehen, ist die Frage, wie man Empathie gut in Konflikte unterbringen kann, an denen man selbst betroffen ist und in denen man sein Gegenüber schon gut kennt. Beim Wechsel aus dem Streit-Modus in den Empathie-Modus passiert nämlich etwas, das ich für sehr wichtig halte: wir verlassen die Ebene von Gleichen und bekommen neue Rollen, mitunter mit Hierarchie-Gefälle. Und unverhofft bin ich neulich auf eine Möglichkeit gestoßen, damit umzugehen.

Lange hab ich mir nicht erklären können, warum mich so ein enormes Unbehagen beschleicht, wenn ich versuche einfühlsam auf mein Gegenüber einzugehen während ich selbst involviert bin. Ich habe außerdem die Erfahrung gemacht, dass meine Hoffnung auf dankende Anerkennung und erleichtertes „Ja, das ist es, so fühl ich mich gesehen!“ in der Regel enttäuscht wird. Üblicherweise bekomme ich ein „Na klar, was dachtest du denn, du Idiot!“ wenn ich im Streit eine Vermutung darüber anbiete, wie es dem anderen wohl gehen könnte. Ich glaube, dass führt in vielen Fällen dazu, dass der Versuch, die GfK in den Alltag zu integrieren entmutigt wird, trotz bester Absichten.

Also bin ich dem mal nachgegangen. Meine eigenen Erfahrungen und Fragen bei Freunden und meiner Partnerin haben zum einen ergeben, dass diese Vermutungen im Streit so wirken können, als bereite der eine Konfliktpartner eine Manipulation vor. Nach dem Motto: erst lullt er sein Gegenüber in Vertrauen und Mitgefühl ein, dann kommt der Hammer und das Gegenüber steht schutzlos da. Man kann diese Möglichkeit nicht ganz ausschließen, denn der innere Druck kann im Streit groß sein. Und wer sich in sein Gegenüber einfühlt und selber Not hat, wünscht sich auch, dass er ebenfalls Raum bekommt. Es könnte also die unbewusste Erwartung eines Handels geben, die erst bewusst wird, wenn das Gegenüber den Handel nicht erfüllt.

Zum anderen hab ich festgestellt, dass es beim Einfühlen in solchen Situationen Probleme mit der Glaubwürdigkeit geben kann. Sagen wir z.B. ich habe einen Streit mit meiner Freundin, nachdem ich später als verabredet zum Treffpunkt gekommen bin. Sie ist wütend und sagt mir, sie verabrede sich einfach nicht mehr mit mir, da es ja doch noch nie geklappt hätte. Ich reagiere erst ängstlich, weil ich Verbindung will und mich auf die Verabredung gefreut hatte, dann wütend, weil ich Zuversicht möchte, dass wir uns wieder verabreden können und es unfair finde, wenn ich keine Chance mehr bekomme. Dann versuch ich sie mit einer empathischen Vermutung zu beschwichtigen und frage sie, ob sie sich ärgert weil ihr Verlässlichkeit wichtig wäre. Im nächsten Moment fliegt mir alles mögliche um die Ohren à la „Natürlich will ich Verlässlichkeit! Tu jetzt bloß nicht so, als würde dich das was kümmern! Wenn das so wäre, hättest du auch pünktlich kommen können.“ Ich hab mit meiner Vermutung zwar einen Treffer gelandet (war nicht so schwer), aber entspannter sind wir noch nicht. Um meiner Freundin so viel Raum zu geben, dass sie sich entspannen kann, müsste ich dran bleiben. Dieser Satz trifft aber wieder in dem Maße meine Angst, keine Chance mehr zu bekommen, dass ich mich verteidige, statt dabei zu bleiben.

Laut der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg wäre hier der nächste Schritt, eine Pause zu machen und jemand anderen um Empathie zu fragen, so dass der eine Partner sich entspannen kann und seinen inneren Raum wieder fühlt. Mit diesem Raum kann er dann wieder neu mit seinem Gegenüber in Kontakt treten, ohne so von dessen Ärger aus der Bahn geworfen zu werden. Praktisch habe ich erlebt, dass zwei Punkte dem im Weg sein können. Zum einen kann die Erinnerung an den inneren Raum seine Halbwertszeit beim nächsten Gespräch mit dem Gegenüber schon überschritten haben. Dann ist man zwar entspannter, aber sobald das Thema wieder aufkommt, werden die gleichen Knöpfe gedrückt und alles fühlt sich wieder eng an. Zum anderen kann es sein, dass der Konflikt die Privatsphäre des einen Partners berührt und niemand da ist, dem dieser genug vertraut, als dass er einverstanden wäre, wenn der andere Partner von dort Empathie bekommt. Hm, und dann?

Eines Tages hatte die Schwester meiner Freundin eine super Idee. Sie meinte zu meiner Partnerin „Der Niklas ist doch Therapeut, warum nutzt ihr das nicht? Frag doch mal den um Empathie.“ Das hat meine Freundin dann folgendermaßen umgesetzt. Sie kam zu mir und sagte, sie wolle mit dem Therapeuten in mir eine Session haben. Dort wollte sie über ihren Partner Niklas sprechen, in der dritten Person. Und sie bat mich als Therapeut einfach nur da zu sein und sie mit Fragen und Vermutungen zu unterstützen. Das haben wir gemacht und siehe da, ich war in der Lage sie ruhig und einfühlsam so lange zu begleiten, wie sie brauchte.

Zunächst mal hat daran gut getan, den designierten Auftrag zu bekommen, nur zuzuhören und nichts von sich dazu zu sagen. Das entlastet, denn dann kann man diese Rolle einnehmen, ohne dass es als Machtstrategie missverstanden wird. Dann hat mich entlastet, dass meine Freundin von mir (Niklas) in der dritten Person gesprochen hat. Das half dabei Abstand dazu zu gewinnen und ihr tatsächlich so zuhören, als wäre ich nicht betroffen. Dabei fällt eine Menge Verteidigungs- und Rechtfertigungsgrund weg. Ich konnte als Therapeut außerdem auch Forschungsfragen stellen, die über das reine Zuhören hinausgehen, wie z.B. was sie glaubt, warum Niklas dieses oder jenes tut. Und schließlich beruhigte mich, dass meine Rolle zeitlich begrenzt war. Das heißt, ich konnte sicher sein, dass ich auch irgendwann dran war. War meine Freundin satt, hatte sie selbst Raum genug, um auch ihre innere Therapeutin zur Verfügung zu stellen und mich in der dritten Person über sie sprechen zu lassen. Auch das funktionierte bisher jedes Mal wunderbar.

Als Psychotherapeut würde ich im Nachhinein sagen, wir haben uns einen Supervisor hinzugeholt, allerdings in Form eines Anteils in uns. Im psychotherapeutischen Berufsleben gibt es eine strenge Rollentrennung zwischen Klient, Psychotherapeut und Supervisor, damit es keine Vermischung von Motiven gibt und alle wissen, wo sie sich befinden. Und ich glaube genau diese Vermischung von Motiven ist die Ursache für das Misstrauen gegenüber Empathie-Vorschlägen im Streit: wenn einer streitet und es stresst ihn, hat er in erster Linie das Interesse, sich selbst wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Er will Raum, Ruhe, Schutz, Akzeptanz, Mitgefühl. Alles was er dann tut, hat das als oberstes Motiv. Es kann sein, dass man seine Bedürfnisse für einen Moment hintenan stellen kann. Vielleicht gibts es auch einen Freund oder Supervisor, den man um Empathie fragen kann und man ist deswegen etwas entspannter. Aber je nachdem, wie wichtig diese Bezugsperson ist, mit der man im Konflikt ist und wie angespannt man ist, gelingt das nicht lange. Wenn das Gegenüber das spürt, kommen statt Empathie-Vorschlägen versteckte Versuche an, sich selbst in eine komfortablere Machtposition zu bringen und das Gegenüber glatt zu bügeln, so dass man sich beruhigen kann. Und wer will die schon?

Einschränkend wäre vielleicht zu sagen, dass die Anteilssupervision das Einverständnis beider Partner braucht. Will einer nicht, ist der andere auf sich selbst (und die Unterstützung, die er für sich hat) zurückgeworfen. Aber wenn beide Erfahrung damit machen und die Anteilssupervision als bereichernd erleben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie auch im Konfliktfall wieder darauf zurückgreifen.